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Rede des Fraktionsvorsitzendes Sebastian Wispel zum Haushalt der Stadt Riedstadt 2017

Haushaltsrede der GLR zum HH 2017


Sehr geehrter Herr Stadtverordnetenvorsteher, sehr geehrter Herr Bürgermeister Amend, sehr geehrter Herr Kretschmann als „Bürgermeister elect“ –in Anlehnung an der Amerikanischen Bezeichnung „Präsident elect“- sehr geehrte Mitglieder des Magistrats, Sehr geehrte Damen und Herren,
ich gehöre dieser Stadtverordnetenversammlung seit Mai 2011 an und zum ersten Mal seit 6 Jahren habe ich die Gelegenheit, zu einem Haushalt zu sprechen, der ein geplantes positives Ergebnis ausweist. Das ist vordergründig ein Grund zur Freude, weil es zeigt, dass sich jahrelange Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung lohnen. Diese Haushaltssituation – und damit nehme ich das Abstimmungsverhalten meiner Fraktion vorweg – ist auch der Grund, warum wir diesem Haushalt zustimmen werden.
Dieses Ergebnis ist nur möglich gewesen, weil es in den letzten Jahren Fraktionen in dieser Stadtverordnetenversammlung gab, die politische Verantwortung übernommen haben, die bereit waren, auch unbeliebte Entscheidungen zu treffen wie z.B. die Erhöhung der Grundsteuer, die Erhöhung von Kitagebühren oder auch Einschnitte wie die Aufgabe von Spielplätzen. Diese Entscheidungen sind von SPD und GLR, in Teilen auch von der CDU getroffen worden, aber in weiten Teilen gegen die damalige Fraktion der Freien Wähler und in weiten Teilen auch gegen die Linke.
Nun wird dieser Anspruch, einen ausgeglichen Haushalt zu präsentieren, vielfältig angegriffen. Die schwarze Null in Berlin wird als „ideologisches Dogma“ eines übereifrigen Finanzministers bezeichnet. Viele Menschen haben sich daran gewöhnt, dass die öffentliche Hand Schulden macht. Defizitäre Haushalte waren über Jahrzehnte der Normalzustand, nicht die Ausnahme. Warum nicht einfach so weiter machen?
Ich möchte an dieser Stelle an meine Haushaltsrede aus dem Jahr 2014 verweisen:
Damals habe ich ausgeführt, dass es eine Leitlinie Grüner Politik ist, eine Politik für zukünftige Generationen zu machen. Das gilt in erster Linie umweltpolitisch, wo wir immer und konsequent dafür eingetreten, unseren Kindern und Enkeln einen ökologisch intakten Planeten zu hinterlassen und auch Ihnen die Möglichkeit zu geben, auf die Ressourcen der Erde zuzugreifen. Wir haben den heute inflationär verwendeten Begriff der Nachhaltigkeit in die Politik gebracht.
Nachhaltigkeit ist aber nicht auf Umweltpolitik beschränkt.
Es geht heute ganz maßgeblich darum, eine Politik zu machen, die auch zukünftigen Generationen Handlungsmöglichkeiten gibt und erhält - und zwar in allen Belangen: Finanziell, Ökologisch, wirtschaftlich, kulturell. Und diese Maxime der Nachhaltigkeit gilt nicht nur für Riedstadt, sondern global.
Wir haben in der Stadtverordnetenversammlung mit den Freien Wählern eine Gruppierung, die die Kirchturmpolitik zum politischen Prinzip erhoben hat. Total Lokal, keine Idiologien, angeblich reine Sachpolitik (als ob die übrigen Fraktion keine Sachpolitik machten). Total Lokal heißt aber auch: keine Rücksicht auf die Auswirkungen des eigenen Handels jenseits der Stadtgrenzen. Das ist – und das sage ich in aller Deutlichkeit, nicht der Anspruch der GLR! Nachhaltigkeit ist ein umfassendes Prinzip und endet nicht an den Stadtgrenzen!
Wenn wir uns unter dieser Prämisse der Nachhaltigkeit die aktuelle Politik anschauen, dann sieht es düster aus:
- z.B. Klimaschutz:
Die Weltgemeinschaft hat in den Klimaschutzverhandlungen in Paris eine Selbstverpflichtung erreicht, den Temperaturanstieg auf möglichst unter 2 Grad zu begrenzen. Dabei handelt es sich um einen Durchschnittswert, sodass es in einzelnen Gebieten deutlich wärmer werden wird. Selbst dieser Kompromiss bedeutet, dass die Meeresspiegel um ca. 60 cm steigen werden. Bereits dieser Anstieg wird dazu führen, dass 250 Mill. Menschen ihren Lebensraum verlieren: In den Flussdeltas Indien und Bangladeshs, auf Inseln und in Küstennähe. Aber auch in Europa – beispielsweise in den Niederlanden – werden erhebliche technische und finanzielle Anstrengungen erforderlich sein, um Überschwemmungen und Landverlust zu vermeiden. Anderen Gebieten wie dem Binnenland der USA oder dem Süden Spaniens drohen Trockenheit und Dürre, es ist nicht fernliegend, dass auch in Europa Wüsten entstehen. Künstliche Bewässerung und Küstenschutz werden Milliarden kosten.
Nun kann man natürlich fragen, was interessiert mich das in Riedstadt? Wenn man Politik „Total Lokal“ begreift, dann wird die Forderung nach einer stringenten Klimaschutzpolitik auch hier in Riedstadt als ideologisch gebrandmarkt. Wer seinen Horizont auch nur geringfügig über den eigenen Kirchturm erweitert, der merkt schnell, dass es sehr wohl große Bezüge auch zu Riedstadt gibt. Der Klimawandel muss uns deswegen interessieren, weil die Überflutung von Küstenbereichen Flüchtlingsbewegungen in einer Größenordnung auslösen wird, die die weit größer sein werden als die aktuellen Bürgerkriegsflüchtlinge. Im Angesichts des ankommenden Bürgerkriegsflüchtlinge im vergangenen Jahr war eine der wenigen politischen Aussagen, bei denen ein großer Konsens herrschte, dass die Lösung nur darin bestehen kann, Fluchtursachen zu beseitigen. Die großen Flüchtlingsbewegungen der Zukunft werden Klimaflüchtlinge sein. Und die Lösung des Problems fängt lokal in Riedstadt an. Global wird Lokal!
Wenn wir jetzt noch berücksichtigen, dass durch die Wahlergebnisse in den USA die Ergebnisse des Klimagipfels in Frage gestellt werden und wird zudem eine CDU-SPD Bundesregierung erleben, die eine vollkommen halbherzige Klimaschutzpolitik fährt, das Zukunftsthema Elektromobilität komplett verschläft, die Energiewende boykottiert, und die, so wurde es diese Woche verkündet, die eigenen, schon nicht sonderlich ambitionierten Klimaschutzziele reißen wird, wenn wir das alles berücksichtigen, dann wird selbst das 2Grad-Ziel zunehmend unrealistisch.
Was auch bedeutet: Die Auswirkungen des Klimawandels werden größer, die Anzahl von Flüchtlingen wird höher, die Kosten für Küstenschutz werden größer. Bei einem Anstieg des Meerespegels von 1 Meter werden auch Städte wie Hamburg oder die Küstenregionen in Schleswig-Holstein und Niedersachsen erhebliche Probleme bekommen. Die Auswirkungen –z.B. über einen neuen Länderfinanzausgleich werden auch uns treffen - dafür brauchen wir wenig Phantasie.
Wer die Auswirkungen der großen Weltklimapolitik auf uns vor Ort begreift, der versteht, warum der Leitspruch „Total Lokal“ in einer globalisierten Welt keine politische Leitlinie sein kann. Riedstadt ist nicht isoliert von der Welt. Abschottung und Kirchturmpolitik lösen kein Problem.
Wenn wir das Thema Klimaschutz unter dem Gesichtspunkt von Nachhaltigkeit betrachten, dann schränkt ein mangelhafter Klimaschutz heute die Handlungsfreiheit unserer Kinder und Enkel morgen ein. Sie werden von uns gezwungen, weitere Teile Ihres Einkommens dafür zu verwenden, die ökologischen Folgen unseres Handelns auszugleichen. Ein klarer Verstoß gegen das Prinzip der Nachhaltigkeit.
 
- Wir können uns unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit auch die aktuelle Rentendebatte anschauen. SPD-Ministerin Nahles führt eine Debatte über Altersarmut, ein aktuell bestenfalls theoretisches Problem, da der Anteil der Rentnerinnen und Rentner, der ergänzend Grundsicherung erhält, lediglich 3 % beträgt, was umgekehrt bedeutet, das 97% der Rentnerinnen und Rentner mit Ihren Einkünften auskommen. Gleichzeitig beziehen jedoch 31% der alleinerziehenden Elternteile Harz IV.
Das Fatale an dieser Diskussion ist aber nicht, dass hier Milliardenbeträge an den wirklich Bedürftigen in dieser Gesellschaft vorbeigeschleust werden und das Armutsproblem von Familien und Kindern ungelöst bleibt und totgeschwiegen wird. Das eigentlich dramatische ist, dass die Generation Praktikum, die sich von einem prekären Beschäftigungsverhältnisse zum nächsten hangelt, aktuell am stärksten von Armut bedroht ist, im Alter weder eine staatliche Rente erwarten noch eine Chance zur privaten Vorsorge besitzt, dass diese jungen Menschen zur Kasse gebeten werden, um die rentenpolitischen Wohltaten zu bezahlen. Unter dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit, unter der Prämisse, dass wir eine Politik wollen, die auch zukünftigen Generationen die Chancen im Leben ermöglicht, die wir selbst hatten, ist die Rentenpolitik dieser Ministerin ein Hohn!
Diese Liste ist fortsetzbar. Der Brexit in Großbritanien, es gab nur eine einzige Bevölkerungsgruppe, in der der Brexit eine Mehrheit hatte: Bei der männlichen Bevölkerung über 65 Jahre. Rentner beseitigen mit einem Handstreich die Zukunftschancen einer ganzen Generation – und – dass ist die bittere Ironie dieser Entscheidung- werden die dramatischen Folgen dieser Entscheidung selbst nicht tragen müssen. Von Nachhaltigkeit jedenfalls keine Spur!
Kommen wir zurück zum Riedstädter Haushalt 2017! Wir als GLR haben uns dem Prinzip der finanziellen Nachhaltigkeit verschrieben. Finanzielle Nachhaltigkeit bedeutet, dass wir zukünftigen Generationen finanzielle Handlungsspielräume hinterlassen – und keine Schuldenberge.
Finanzielle Nachhaltigkeit bedeutet auch, dass wir öffentliche Haushalte aus Generationenperspektive betrachten müssen! Jede Generation muss mit den finanziellen Mitteln auskommt, die sie auch selbst erwirtschaftet bzw. bereit ist, für öffentliche Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen.
Verschuldung bedeutet in dieser Generationenperspektive, finanzielle Folgen des eigenen Handels auf Kinder und Enkel zu verlagern.
Wir stehen für eine nachhaltige und generationengerechte Finanzpolitik!
Seit Jahren, wenn nicht Jahrzehnten, erleben wir, das auf der einen Seite die Forderung nach geringerer Steuer- und Abgabenlast propagiert wird, auf der anderen Seite aber ungebrochene Anforderungen an öffentliche Dienstleistungen gestellt werden. Das halten wir nicht für gerecht! Ein aktuelles Beispiel ist die Debatte um die Friedhofsgebühren, wo SPD und LINKE sich weigern, kostendeckende Gebühren zu erheben. Aus generationenperspektive bedeutet das, dass SPD und LINKE kommende Generation heranziehen wollen, die Defizite auszugleichen, die dadurch entstehen, dass die heutige Nutzer die anfallenden Kosten nicht tragen möchten. Das wiedersinnigste daran ist, dass man die Gebührenerhöhungen für sozial ungerecht hält.
Doch ist das Argument der sozialen Gerechtigkeit wirklich überzeugend? Schauen wir uns an, welche Auswirkungen diese Politik hat: Riedstadt hat über 40 Mill. € Schulden. Bei der einem Überschuss von 400.000,-€ benötigen wir 100 Jahre, um diese Kredite zurückzuzahlen – Verzinsung nicht mit eingerechnet. Jetzt keine kostendeckenden Gebühren zu verlangen heißt, die aktuelle Erwerbsgeneration aus der Finanzierungsverantwortung zu nehmen, die Finanzierungslast auf Kinder und Enkel zu verlagern und damit eine ganze Generation ihrer finanziellen und damit letztlich auch politischen Handlungsfähigkeit zu berauben! Und das, obwohl wir Ihnen in zahlreichen anderen Politikfeldern –siehe Klimaschutz, siehe Rente – sowieso Lasten hinterlassen. Verschuldung zu akzeptieren bedeutet, einer Generation, die noch gar nicht auf der Welt ist oder aber zu jung, um sich selbst politisch zu artikulieren, Zukunftschancen zu nehmen! Bei einem Schuldenstand von 40 Mill. auf Einnahmepotentiale zu verzichten, das ist nicht etwa sozial gerecht, wie es SPD und LINKE behaupten, dass ist in höchstem Maße ungerecht!
Wenn wir diesen Maßstab der Nachhaltigkeit anlegen, dann ist auch klar, wohin die Reise in den nächsten Jahren gehen muss. Nachhaltige Finanzpolitik bedeutet, Handlungsspielräume für zukünftige Gegenrationen zurückzugewinnen.
Oberste Priorität hat damit der Schuldenabbau. Unser Ziel muss es sein, einen strukturell ausgeglichenen Haushalt zu erreichen. Strukturell ausgeglichen bedeutet, dass wir in Jahren wie diesen, in denen die Steuereinnahmen bundesweit aber auch in Riedstadt sprudeln, in denen die Staatsfinanzen so gut dastehen wie seit 50 Jahren nicht, dass wir in diesen guten Jahren 2 bis 3 Mill. € Überschüsse haben, die wir zur Schuldentilgung nutzen. Strukturell ausgeglichen bedeutet, dass wir auch in schlechteren Jahren, in denen die Konjunktur nicht so läuft, in denen die Steuereinnahmen zurückgehen, über der Null bleiben. Diese Zeiten werden wieder kommen – machen wir uns nichts vor. Unser jetziger Erfolg ist auch ein Erfolg externer Einflüsse, ein Ergebnis der einmalig guten Steuersituation. Wenn wir auch in schlechteren Zeiten nicht sofort wieder ins Defizit rutschen wollen, dann müssen wir jetzt durch eine konsequente Kostenkontrolle das Ausgabenwachstum begrenzen, wir müssen jetzt – in guten Zeiten – die strategischen Entscheidungen treffen, um auch in einem raueren Umfeld weiter gut dazustehen.
Von seinem solchen strukturell ausgeglichenen Haushalt, einer Haushaltssituation, bei der wir in guten Jahren Schulden Tilgen und in schlechten Jahren mit einer schwarzen Null abschließen, sind wir etwa 2-3 Mill. € pro Jahr entfernt. Der jetzige Erfolg einer schwarzen Null ist kein Anlass, jetzt nachzulassen. Es ist ein Teilerfolg, aber das Ziel einer nachhaltigen Finanzpolitik, eines strukturell ausgeglichenen Haushalts ist lange nicht erreicht. Erst dann, erst wenn wir das erreicht haben, können wir über Gebührensenkungen oder Aufgabenausweitungen nachdenken.
Haushaltsdisziplin, das Erwirtschaften von Haushaltsüberschüssen, das Tilgen von Schulden, das alles ist kein Selbstzweck, ist kein ideologisches Dogma. Es ist Ausdruck einer Politik der Verantwortung. Einer Politik der Verantwortung vor uns und vor den uns nachfolgenden Generationen.

Vielen Dank.

Tags: KinderbetreuungHaushaltStadtentwicklungsoziale GerechtigkeitKlimaschutz
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